Barbara Loibl, 46, sitzt für kein Geschäft mehr auf einer Toilette: Sie lebt mit einem künstlichen Blasenausgang (Urostoma) und einem künstlichen Darmausgang (Ileostoma). Urin und Stuhl sackt sie darin buchstäblich ein. Im Interview erzählt Frau Loibl, wie es dazu kam und warum zwei Stomata am Bauch für sie nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang sind.
Barbara Loibl
Stomata Patientin
Barbara, Sie tragen zwei Stomata, eins für Urin und eins für Stuhl. Wie sind Sie dazu gekommen?
Mir wurde wegen meiner Endometriose die Gebärmutter entfernt. Nach der OP litt ich an massiver Verstopfung, die ich auch mit Abführmitteln in höchster Dosis nicht in den Griff bekam. Die OP hatte wichtige Nerven beschädigt – mein Dickdarm, meine Blase und mein Beckenboden funktionierten nicht mehr richtig.
Deshalb nahm man mir einen Großteil des Dickdarms raus. Das half kurzfristig, ich konnte drei bis fünfmal am Tag aufs Klo und meinen Darm entleeren. Doch recht schnell änderte sich das wieder: Ich bekam Durchfall, saß damit täglich 30 bis 40 Male auf dem Klo und hatte zwischendurch noch mit Stuhlinkontinenz zu tun. Wegen meiner gelähmten Blase trug ich zudem mehr als zwei Jahre einen Harnkatheter. Für einen Blasenschrittmacher waren die Nerven zu kaputt.
Es war unerträglich. Die kleinen und großen Geschäfte, über die man sonst kaum spricht, bestimmten meinen Alltag. Ich konnte kaum an etwas anderes denken.
Meinen Job im Verkauf musste ich aufgeben. Für soziale Kontakte blieb keine Zeit und Kraft. Meine Lebensqualität lag gefühlt bei Null. Und das alles unter pandemischen Umständen: Ärzt:innen verschoben Termine und schlossen ihr Praxen dann sogar ganz.
Ich landete schließlich wieder auf dem OP-Tisch zum Einsetzen eines Ileostomas. Leider verlief die OP nicht optimal. Mein Fall wurde immer komplexer, ich suchte verzweifelt nach Mediziner:innen, die sich meiner annehmen wollten und konnten.
Wie haben Sie diese schließlich gefunden?
Mit Beharrlichkeit. Mit Geduld. Ich habe meine Ärzt:innen gequält. Mein Leben hatte nicht viel Lebenswertes mehr. Ich wollte das ändern. Also recherchierte ich auf eigene Faust, online wie offline, ich telefonierte und suchte Praxen auf. Und irgendwann traf ich auf einen Urologen, der mir zwar sagte, dass er nicht der richtige Facharzt für mich sei – aber jemanden kenne… Und so wurde ich 2023 noch einmal operiert und erhielt meine beiden Stomata, die mich jetzt zeitlebens begleiten.
Wie geht es Ihnen damit?
Ich lebe wieder! Ich gehe raus, treffe mich mit Menschen. Vorgestern war ich schwimmen. Gestern lange Rad fahren. Ich schmiede Pläne für die Zukunft. Ende des Monats beginne ich einen siebenwöchigen Kurs zur beruflichen Um- beziehungsweise Neuorientierung von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA). Ich will etwas, was mir Spaß bringt. Ich könnte meine einstige Ausbildung zur Ordinationsgehilfin auffrischen und erweitern. Die Arbeit einer Labor- oder Röntgenassistentin interessiert mich sehr. Ich bin ganz offen …
Was brachte die Wende in Ihrer Krankengeschichte?
Ganz sicher, dass ich auf Ärzt:innen stieß, die mir zuhörten. Die verstanden und ernst nahmen, was ich wollte. Die multidisziplinär zusammenarbeiteten, um mit der eher seltenen Komplexität meiner Erkrankung umzugehen. Die möglich machten, was medizinisch möglich war.
Was raten Sie Betroffenen, um ihnen einen Ärztemarathon wie den Ihren zu ersparen?
Eine Diagnose, die zu einem Stoma führt, ist ein Schock. Sie weckt Ängste und Vorurteile. Von letzteren sind so einige im Umlauf, beispielsweise, dass Stomaträger:innen nach Urin oder Stuhl riechen. Das passiert jedoch nur, wenn das Stoma nicht einwandfrei funktioniert. Auch das ewige Wundsein wird oft gegen Stoma angeführt. Mit einem guten Wundmanagement – ich fühle mich damit bei meiner Kontinenz- und Stomaberaterin (KSB) in den besten Händen – lässt sich dem gut vorbeugen.
Ein Stoma zu tragen, ist kein Todesurteil! Ich habe mehr als vier Jahre Lebenszeit verloren bis ich dank meiner beiden Stomata endlich wieder am Leben teilhaben konnte. Ich starte noch einmal durch, jetzt erst recht!
Betroffene sollten sich die Zeit nehmen, die Ärzt:innen zu finden, die ihnen in ihrer Situation maßgeschneiderte Behandlung und Unterstützung bieten. Dann muss unbedingt offen geredet werden – insbesondere über kleine und große Geschäfte auf der Toilette. Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft, die Diagnose zu verstehen und anzunehmen, bewährte Lösungen für alltägliche Probleme zu übernehmen sowie Perspektiven für ein Leben mit Stoma zu entdecken. Ich biete mich dafür gerne als Kontakt an: Sie erreichen mich per Telefon (0676 68 37 211) oder E-Mail ([email protected]).