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„Je eher eine Suchtproblematik behandelt wird, desto besser sind die Erfolgsaussichten.“

Rund 370.000 Österreicher:innen sind von der Volksdroge Nr. 1, dem Alkohol, abhängig. Die Corona-Pandemie wirkt sich eindeutig auf das nationale Suchtverhalten aus, aber nicht bei allen Gruppen in dieselbe Richtung: bei vor allem in Gesellschaft Trinkenden kam es teils sogar zu Konsumrückgängen, insgesamt und bei anderen Gruppen aber zu einer Zunahme. Das betrifft auch das Suchtverhalten in Zusammenhang mit dem Internet, wie etwa Spiele, Wetten und Social Media. Prim. Dr. Wolfgang Preinsperger, Ärztlicher Direktor am Anton Proksch Institut in Wien, dazu im Interview.

Dr. Wolfgang Preinsperger

Ärztlicher Direktor, Anton Proksch Institut Wien
Foto: Theresa Wey

Der Begriff „Sucht“ ist allgegenwärtig und wird umgangssprachlich häufig gebraucht. Wann aber gilt eine Sucht als pathologisch?

Im fachlichen Kontext spricht man nicht von Sucht, sondern von Abhängigkeit, gemeint ist jedoch dasselbe. Eine voll ausgeprägte Sucht oder Abhängigkeit zeigt sich im zwanghaften Bedürfnis nach einer Substanz – sei dies Tabak, Alkohol, Medikamente oder Opiate. Dabei müssen gewisse Kriterien erfüllt sein, damit eine Abhängigkeit vorliegt.

Welche Kriterien sind das?

  1. Zwanghaftes Verlangen, eine Substanz zu konsumieren
  2. Kontrollverlust über das Ausmaß, die Menge sowie den Zeitpunkt oder die Dauer der Konsumation
  3. Körperliche und psychische Entzugserscheinungen wie etwa Angst, Zittern, Schweißausbrüche, Übelkeit, erhöhter Puls
  4. Dosissteigerung aufgrund einer zunehmenden Toleranzentwicklung
  5. Wachsender Interessenverlust sowie zunehmende Bedeutung, die Substanz zu beschaffen
  6. Trotz gesundheitlicher und sozialer Folgen wird weiterhin konsumiert

Wenn mindestens drei dieser Kriterien über einen längeren Zeitraum gleichzeitig auftreten, spricht man von Abhängigkeit.

Gibt es denn frühe Anzeichen, die auf eine beginnende Abhängigkeit hindeuten?

Es gibt frühe, diskrete Hinweise, die allerdings von Betroffenen selbst nicht als problematisch gedeutet werden. Vielmehr bemerkt oftmals zuerst das Umfeld Auffälligkeiten: steigender Alkoholkonsum, zunehmende Berauschung oder der Konsum zu unüblichen Zeiten. Bei vielen Suchtsubstanzen kommt es zu psychischen Veränderungen: Die Betroffenen wirken „gedämpft“ oder sind hyperaktiv, sie haben einen ungewöhnlich schnellen Redefluss, oder ihr Denken und Sprechen sind verlangsamt. Auch körperliche Zeichen wie vergrößerte oder bei anderen Substanzen verengte Pupillen, Schweißausbrüche oder nachlassende Körperpflege können Anzeichen sein.

Was raten Sie Außenstehenden, wenn diese einen Verdacht hegen?

Zum Wesen einer Suchterkrankung gehört, dass sich die Betroffenen zu Beginn über das Ausmaß der Problematik nicht bewusst sind und es ein längerer Prozess ist, bis sie sich eingestehen können, dass ein Problem vorliegt. Außenstehenden rate ich, immer wieder das Gespräch zu suchen, die Problematik offen anzusprechen, Vertrauen aufzubauen und vielleicht auch nähere Angehörige miteinzubeziehen. Indem sich die Außenstehenden über Beratungsstellen und Behandlungsmöglichkeiten informieren, können sie den Betroffenen direkt vermitteln, dass es Wege und Hilfsangebote gibt. Wichtig ist, dass man Vorwürfe vermeidet. Die Betroffenen schämen sich zumeist sehr und werden von Schuldgefühlen geplagt.

Wie schnell entwickelt sich eine Abhängigkeit?

Eine Alkoholabhängigkeit entwickelt sich zum Beispiel langsam über Jahre hinweg und ist damit ein schleichender Prozess. Anders bei Opiaten – hier ist der Abhängigkeitsprozess deutlich schneller. Je eher eine Suchtproblematik an der Wurzel gepackt wird, desto besser sind die Erfolgsaussichten.

Alkohol ist die Volksdroge Nummer 1 in Österreich, wird jedoch weit weniger stigmatisiert als andere Suchtmittel. Welche Rolle spielen hier gesellschaftliche Aspekte?

Alkohol gilt auch in größerem Maße noch als gesellschaftlich akzeptiert. Oftmals ernten gar jene Anerkennung, die „viel“ vertragen. Dabei werden die Folgen und das gesundheitsschädliche Potenzial von übermäßigem Alkoholkonsum unterschätzt und verharmlost. So sind etwa fünf Prozent oder 370.000 Österreicher:innen alkoholabhängig, knapp zehn Prozent konsumieren Alkohol in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß. Damit haben etwa eine Million Menschen in Österreich ein problematisches Trinkverhalten. Die sozioökonomischen Folgen sind massiv und man geht davon aus, dass eine Alkoholsucht die Lebenserwartung um durchschnittlich 20 Jahre reduziert!

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Suchtentwicklung?

Es gibt gewisse Studien dazu, die allerdings differenziert zu betrachten sind. Das Suchtverhalten beim Alkohol änderte sich demnach vorübergehend in beide Richtungen. Jene reduzierten den Konsum, die hauptsächlich in gesellschaftlichen Runden konsumierten. Jene, die schon vor der Pandemie eher zuhause alleine getrunken haben, steigerten ihren Konsum. Manche, insbesondere jüngere Menschen, haben ein problematisches Konsumverhalten entwickelt, ausgelöst durch Faktoren wie Überforderung, Einsamkeit, Stress, dem Wegfall von sozialen Kontakten und Homeoffice.

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